Canva
Mai 1, 2024

Das ukrainische Männer Dilemma

Die Entscheidung der ukrainischen Regierung, dass männliche Ukrainer im Ausland keine konsularischen Dienste mehr bekommen, kam über Nacht und traf die ukrainische Community in Deutschland mit voller Wucht. Seit vergangener Woche steckt sie

Im ukrainischen Männer Dilemma

Einerseits hoffen die allermeisten Ukrainer:innen, die vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind, dass sie bald in die Ukraine zurückkehren können. Sie hoffen darauf, dass ihre Armee die russischen Angreifer zurückschlägt. Sie tun alles, um die Armee zu unterstützen. Viele engagieren sich ehrenamtlich, sammeln spenden, helfen mit.

Andererseits freuen sich viele Familien, dass sie nun endlich wieder vereint sind. Schwierig war die Zeit, in der Frauen und Kinder allein in der Fremde leben mussten und manchen ist es inzwischen gelungen, ihre Männer trotz Ausreiseverbot und Ankündigung, dass die Armee Soldaten braucht, ins Ausland zu schleusen. Sollen sie nun wieder zurück? An die Front? In dieser Lage, in der die ukrainische Armee gerade die Unterhand hat?

Europäische Sicherheitspolitik vs. Familienleben

Welche Optionen haben sie, wenn sie sich entscheiden, nicht in die Ukraine zurückzugehen. Was tun, wenn beispielsweise ihr Pass abläuft? Wird Deutschland ihnen Ersatzpapiere ausstellen? Asyl gewähren? In dieser Situation, in der für Europas Sicherheit so viel auf dem Spiel steht?

Ein heikles Thema für unsere Leser:innen und auch für unser Team. Olena Melnyk fasst die Positionen im ukrainischen Männer Dilemma zusammen. Hier geht es zu ihrem Bericht auf Ukrainisch.

Es ist – wie gesagt – ein Dilemma und lässt sich nicht einfach auflösen. Und was macht das Amal-Team damit? Wir berichten, denn auch gravierenden Problemen muss man ins Auge schauen. Zugleich – und darin unterscheiden wir uns von anderen Medien – weiß das ukrainische Amal-Team, wie es sich anfühlt, in diesem Dilemma zu stecken und sie bemühen sich, die Community zu trösten. Zum Beispiel, in dem sie etwas nettes vor haben. Gestern hat Nana Morozova Eintrittkarten für den sehr beliebten Japanischen Markt von Berlin verlost. Noorullah Rahmani fungierte hier sozusagen als Glücksbote. Er gehört ja zum persischen Team von Amal und konnte die ukrainisch geschriebenen Loszettel mit den Namen der über hundert Bewerber:innen nicht lesen. Er kann also als absolut unparteiisch gesehen werden. Das ist Amal!

Berlin ist eine syrische Großstadt

Gerade ist ein neues interessantes Buch erschienen: Vision Berlin heißt es. Es ist ein Projekt der Initiative Syrbanism. In dem Buch, das diese Woche in Berlin vorgestellt wurde, geht es um syrisches Leben, syrische Infrastruktur und syrischen Alltag in Berlin. Ahmad Kalaji war bei der Lesung. Hier geht es zu seinem Instagram Reel auf Arabisch.

Buchvorstellung Vision Berlin

Amal und das Superwahljahr

Viele unserer Leser:innen schauen mit Sorge darauf, was das sogenannte Superwahljahr bringen wird und natürlich ist das ein Thema für uns. In gleich mehrfacher Hinsicht:

Unsere Leser:innen sind eines der großen Wahlkampfthemen. Sie werden als Gefahr, Bedrohung, als Problem dargestellt. Das macht etwas mit ihnen und spätestens seit der Remigrationsenthüllungen, machen sich viele Sorgen über ihre Zukunft in Deutschland. Um den Überblick zu behalten und nicht in Panik zu verfallen, hilft verlässlicher, gut verständlicher Journalismus. Hierbei geht es uns auch darum, Menschen eine Stimme zu geben und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.  Schließlich lautet das Amal Motto: “Nur wer weiß, was passiert, kann sich beteiligen und mitreden”.

Ganz besonders gilt dies natürlich für die vielen Neuwähler:innen: Viele, der 2014/15 nach Deutschland geflohenen Syrer:innen und Afghan:innen haben inzwischen den deutschen Pass und dürfen dieses Jahr zum ersten Mal wählen. Inzwischen haben knapp 9 der 60 Millionen Wahlberechtigten Migrationsbiografien.

Forschungen zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund eher seltener zur Wahl gehen. Wir wissen zudem, dass manche unserer Leser:innen zu populistischen Parteien tendieren. So gibt es beispielsweise manche unserer afghanischen Leser:innen, die Berichte zu Themen rund um Sicherheitsfragen, Canabis-Konsum und Homosexualität mit scharfen Positionen kommentieren, die an extrem rechte Wahlkampfparolen erinnern. Kurz gesagt: Hier gibt es etwas zu tun.

Wir haben uns das Ziel gesetzt, unsere Leser:innen zu motivieren zu Wahl zu gehen und ihnen die Informationen zu liefern, die zu einer Wahlentscheidung gebraucht werden. Dabei halten wir uns an unsere Prinzipien: Wir wollen niemanden belehren, was sie wählen sollen. Wir plädieren nur dafür, die eigenen Interessen zu erkennen und dann zu entscheiden, was die passende Partei ist.

Unser (kleiner) Beitrag zur Versachlichung der Wahlkampfdebatte

Wir bringen eine Perspektive in die Wahlkampfdebatte ein, die bislang fehlt. Die der Geflüchteten. Unser Ziel für die nächsten Monate: Wir wollen, dass unsere Reportagen und Kommentare, unser Blick auf den Alltag der Neuangekommenen hier in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wird. Dafür brauchen wir Sie. Schreiben Sie uns, wenn Sie in ihrem Medium Interesse an einem solchen Perspektivwechsel haben. Wir übersetzen gerne unsere regulären Amal-Artikel oder nehmen auch spezifische Aufträge an, wenn Sie ein besonderes Thema interessiert. Wie wäre es mit einem Kommentar zum ukrainischen Männer Dilemma oder eine Reportage aus dem syrischen Großstadt-Leben in Berlin, geschrieben jeweils von einer/m Autor:in, die selbst aus der Community stammt. Es wäre doch schön, wenn wir so gemeinsam dazu beitragen können, die Wahlkampfdebatten 2024 zu versachlichen; auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist.

Heute feiert Amal, Hamburg! sein fünfjähriges Bestehen mit einem großen Fest in der Embassy of Hope. Die Koordinatorin der Hamburger Redaktion Heifaa Atfeh blickt in ihrer Rede auf den Aufbau der Redaktion zurück. Hier können Sie den Text der Rede vorab lesen.
Wir wünschen Ihnen eine schöne Woche!

Viele Grüße vom Amal-Team
Foto: Canva, Nana Morozova, Rasmus Gerlach