2015 starteten sie mit einer Wandzeitung. Jetzt produziert ein internationales Team digitale Nachrichten für Geflüchtete
Dienstag, kurz vor 18 Uhr. Hinter den großen Glasfronten des Landratsamts von Tübingen leuchten nur noch vereinzelt Lichter. Aber es kommen noch Menschen, mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit dem Auto. Am Eingang trifft man sich, grüßt, fängt sofort an zu reden, geht zusammen die Treppe hoch und ist schon mitten im Gespräch, als man den komfortablen, von Holz und Glas geprägten Besprechungsraum des Amtes erreicht. Die Redaktion von TUENews International hat ihre wöchentliche Sitzung. Ein internationales Team. Sie überlegen, welche Themen für Geflüchtete in und um Tübingen in dieser Woche wohl besonders interessant sind. Und wer dann über diese Themen schreibt.
Ein spannendes Team
Oula hat arabische Literatur studiert und ist Mutter, bei TUENews koordiniert sie die arabischen Übersetzungen. Ihr Töchter Roula und Reem studieren, schreiben gerne und sind Teil vom Team. Brigitte und Ute waren viele Jahre Redakteurinnen bei der Lokalzeitung. Jetzt sind sie in Rente und bringen sich bei TUENews als Coach mit ein. Doktor Youssuf ist Archäologe und gräbt für TUENews Themen aus. Samir war im Irak Dokumentarfilmer, für TUENews hat er lange ein Radio-Programm gestaltet. Jede Woche produzierte er zusammen mit anderen zwei Stunden Programm: Nachrichten in Muttersprache, dazu Musik, ausgestrahlt über die Wüste Welle, einen freien Radiosender in der Region. Jetzt arbeitet er an Video-Formaten für die Wegseite. Bernhard kommt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dort hat er zuletzt die regionale Online-Redaktion geleitet. Seine Expertise bringt er jetzt beim Relaunch der Webseite mit ein.
Eine Wandzeitung für Geflüchtete
Wolfgang Sannwald, die treibende Kraft hinter TUENews, übernimmt die Begrüßung. Er ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis, daneben Honorarprofessor an der Uni, jemand, der Menschen bewegt. Als 2015 die Flüchtlinge auch nach Tübingen kamen, war ihm klar: Sie mit Nachrichten und Informationen zu versorgen, würde das Ankommen deutlich leichter machen. Er erinnerte sich an seine Zeit als Student an der Uni, wie sie damals Wandzeitungen produziert hatten, um die Kommilitonen zu informieren. Diese Idee griff er auf und machte sich auf die Suche nach Menschen, die auf Arabisch, Dari/Farsi, Deutsch und Englisch Wandzeitungen für Flüchtlingsunterkünfte machen wollten. Am 1. Dezember 2015 war die erste Wandzeitung fertig. Bald gab es zusätzlich einmal im Monat ein Heft.
Zwei Bögen pro Woche für die Unterkünfte
Martin Klaus, der Koordinator und einzige Hauptamtliche im Team, hat einen dicken Aktenordner mitgebracht. Darin: Die Wandzeitungen, gesammelt über die Jahre. Zwei große Bögen pro Woche, mit Informationen in vielen Sprachen. Geschrieben, übersetzt, layoutet, gedruckt. Und dann nahm ein Mitarbeiter die Bögen, lud sie ins Auto und fuhr durch den Landkreis, um sie in allen Flüchtlingsunterkünfte zu bringen. Jede Woche machte er die Runde. Dort hingen die Wandzeitungen dann so, dass alle sie lesen konnten. Der Informationsfluss funktioniert und sorgte für Gesprächsstoff.
Möglich war dies, weil TUENews ein Angebot des Landkreises ist: Die Nachrichten sind Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Das öffnete in den Unterkünften die Türen, die Wandzeitungen aufzuhängen war Teil von deren Auftrag. Die Idee war, durch den Zugang zu Informationen das Leben nach der Ankunft zu erleichtern und den Prozess der Integration zu beschleunigen. Der Landkreis finanziert bis heute mit 180.000 € im Jahr die Arbeit. Davon wird ein hauptamtlicher Koordinator bezahlt, Minijobs für die Übersetzerinnen und eine Ehrenamtspauschale für die Coaches.
Mit Corona kam die Webseite
Der Übergang von der Wandzeitung ins Digitale kam mit Corona. Die Wandzeitungen auszuliefern war schwierig, der Prozess hin zum gedruckten Heft aus dem Homeoffice kaum zu stemmen. Engagierte Mitarbeiter bauten eine Webseite und fingen an, die Nachrichten online verfügbar zu machen. So ist es bis heute, über eine vielsprachige Startseite kommen die User zu den Nachrichten und Informationen in ihrer jeweiligen Sprache. Rund eine Million Mal wurden die Nachrichten im vergangenen Jahr geklickt.
Auch die wöchentlichen Redaktionskonferenzen finden jetzt meist online statt. Es gibt ein gut strukturiertes System, um den Weg von der Idee über die Entscheidung, das Thema zu machen bis hin zur Veröffentlichung in den verschiedenen Sprachen zu steuern und im Blick zu behalten. Präsenz-Treffen wie heute sind eine schöne Gelegenheit, mal wieder intensiver miteinander ins Gespräch zu kommen.
Woher kommen die Themen?
„Wer hat ein Thema?“, fragt Wolfgang Sannwald in die Runde. Roula hat gerade entdeckt, dass mit der sogenannten Kreis-Bonuskarte schöne Möglichkeiten zum Beispiel für Kindergeburtstage verbunden sind. So kann man für kleines Geld einen großen Raum zum Feiern mieten – und im Stadtmuseum zum Beispiel einen Workshop, bei dem die Kinder Roboter bauen oder Graffiti sprühen. Ein Blick in die Runde: „Passt das?“ „Wir haben schon öfter über die Bonuskarte berichtet“, sagt einer. „Aber das ist lange her, das muss man immer mal wieder machen.“ „Guckt, dass ihr einen anderen Aspekt raus greift“, meint jemand drittes. „Das mit den Geburtstagen hatten wir noch nicht.“ Und nach einer kurzen Diskussion ist klar: Die BonusKarte wird in dieser Woche Thema. Roula recherchiert, Brigitte macht als Coach mit. Die beiden sind jetzt ein Team.
Reem hat entdeckt, dass Erstsemester seit diesem Herbst 1000 Euro Startgeld beantragen können, wenn sie knapp bei Kasse sind. „Mir hätte das damals sehr geholfen“, sagt sie und erzählt, wie schwierig es war, den fürs Studium nötigen Laptop zu finanzieren. Gerne möchte sie darüber schreiben, wer dieses Startgeld bekommen kann und wie. Auch das Thema findet in der Redaktion großen Anklang.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Stockfinster ist es vorm Landratsamt, als die Redaktionskonferenz vorbei ist. Doch draußen vor der Tür gehen die Gespräche weiter.
Für die nächste Zeit hat die Redaktion große Pläne: Die Webseite wird neu gebaut, und es wird eine App geben. Die Nachrichten, die TUENews produziert, sollen dann leichter zu nutzen sein und noch mehr Menschen erreichen.
Das Besondere an diesem Besuch: Nicht nur wir haben darüber geschrieben, Auch bei TüNews ist ein Artikel erschienen. Hier geht es zum Bericht und zur Webseite von TUENews.