Flickr
Dezember 22, 2022

Khalid Alabouds Wort zum Sonntag – Die Presselandschaft und der Mehringdamm

Wir vom Team von Amal, Berlin! haben uns sehr gefreut, als kürzlich die Redaktion des Focus bei uns angefragt hat: Sie wünschten sich einen Artikel zum Thema Proteste im Iran und unsere Kollegin Maryam Mardani hat den Auftrag übernommen. (Hier geht es zu ihrem Artikel). Es gab in der Redaktionssitzung sogar Beifall. In diesem Moment dachte ich, warum sollten wir uns freuen, ist es doch normal, dass wir Artikel für deutsche Zeitungen, Zeitschriften und Websites schreiben!? Doch leider lautet die Antwort: „Nein, es ist nicht normal!“

Vor sechs Jahren, als wir mit Amal, Berlin! angefangen haben, wurden wir mit Anfragen bombardiert. Viele Zeitungen interessierten sich für unseren Blickwinkel als Exiljournalist:innen. Damals machten wir noch unsere ersten Schritte in diesem Land, und wir spürten großes Interesse: Die Leute wollten uns und unser Denken kennenlernen. Von Jahr zu Jahr wurden die Anfragen weniger und verschwanden sogar ganz. Ausnahmen sind besondere Anlässe, Katastrophen oder Ereignisse wie die Bundestagswahl, Tag der Pressefreiheit und der Internationale Frauentag.

Tolle Gelegenheit

Damals, als ich nach Deutschland gekommen bin, beschäftigte uns vor allem der Krieg in Syrien und die Lage der Hunderttausenden von Geflüchteten, die aus Syrien und der ganzen Region nach Europa gekommen sind. Ich habe mich dafür eingesetzt und immer wieder dafür geworben, dass wir neuangekommenen Journalist:innen mit viel Wissen und Erfahrung eine Chance für die deutsche Presse sind: Insbesondere für diejenigen, die sich für das Weltgeschehen interessieren, insbesondere für diejenigen, die sich für Angelegenheiten des Nahen Ostens interessieren. Die meisten Flüchtlinge stammten damals aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Diese Regionen gelten für westliche Journalisten als nicht sicher, daher hätte die Präsenz professioneller Journalist:innen aus diesen Ländern in Deutschland diese Lücke geschlossen. Diese Kolleg:innen haben ihre Verwandten und sie haben ihre Möglichkeiten, Informationen vom Ort des Geschehens zu erhalten und den interessierten deutschen Zeitungen zur Verfügung zu stellen. Doch die deutsche Presse verpasste diese Gelegenheit. Wir hörten immer wieder das Argument: „Professionalität, die erfordert, vor Ort zu sein“ oder die „Sprachbarriere“!

Unser Schmerz ist verlockend

Um die ganze Wahrheit zu sagen: Ja, es gibt syrische und afghanische Journalist:innen, die angefangen haben, in der deutschen Presse zu arbeiten, und einige von ihnen haben sogar den Weg zu den großen Medien wie Bild und ARD und Der Tagesspiegel gefunden. Das ist toll und wir freuen uns für sie. Was aber schmerzt, ist, dass es Ausnahmen bleiben. Und dass, obwohl es zahlreiche Seminare, Konferenzen, Reportagen und Studien gibt, in denen immer wieder die mangelnde Vielfalt in deutschen Medien beklagt wird und wie wenig die Medien, die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln.

Deutsche Zeitungen, Websites und Sender nutzen nur Einzelfällen das Potenzial dieser Vielfalt. Wenn in einem unserer Herkunftsländer ein wichtiges politisches Ereignis stattfindet, etwas wie eine Explosion, ein Aufstand oder eine Katastrophe, dann fragen sie bei uns an. Andere Themen, die das Leben hier betreffen, Berichte über Politik und Wirtschaft hier in Deutschland oder auch nur unser Blick auf die Migrationspolitik, die schreiben die Journalist:innen der deutschen Medien lieber selbst. Dabei sind viele von uns inzwischen auch deutsche Staatsbürger und die Politik der Bundesregierung ist auch unsere Politik.  Wir zahlen Steuern und Rundfunkgebühren, aber wir werden weder als Medienschaffende noch als Mediennutzer ernstgenommen. Unsere Rundfunkgebühr ist fast so wie eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, das man nie besucht.

Mein Ideal: Mehringdamm für die Deutsche Presse

Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann hätte ich gerne eine Presselandschaft in Deutschland, die dem Berliner Mehringdamm ähnelt. Kennen Sie die Straße in Kreuzberg? Wenn man aus dem U-Bahnhof kommt und in die eine Richtung geht, landet man bei dem berühmtesten alle Döner-Läden: „Mustafa Gemüse Kebab“. Ein paar Schritte weiter gibt es ein tolles asiatisches Restaurant, dann türkische Pizza und Curry Wurst. Wenden sie sich in die andere Richtung finden sie Bio-deutsches Bioessen und ein paar Schritte weiter libanesische Falafel neben Hipster-Coffee-Shops, deren ethnische Zuordnung irrelevant ist. Warum sollten die deutschen Medien nicht ebenso vielfältig und interessant sein? Viele Geschmacksrichtungen, so dass alle etwas finden, was sie interessiert?

Man muss nicht unbedingt auf die nächste Revolution, Explosion oder Machtübernahme durch dumpf-radikale Extremisten warten, um auf unsere journalistischen Fähigkeiten zurückzugreifen und damit auch die 25 Prozent der Bevölkerung als Leser:innen anzusprechen, die zum Teil der Bevölkerung Deutschlands geworden sind?.

Dieser Artikel ist Teil einer Artikelserie mit dem Titel „Hadeeth Al-Ahad – Worte zum Sonntag“. Darin werde ich kommentieren, was hier in Deutschland und in der Welt passiert. Dies sind nur persönliche Meinungen und spiegeln nicht unbedingt die Meinung des Amal Berlin-Teams wider.