Was bedeutet das Leben im Exil für Schriftsteller:innen? Was passiert mit der Schere im Kopf, wenn man die Grenzen der Zensur hinter sich gelassen hat? Diese Fragen gehen Maryam Mardani und Bahram Moradi in ihrem Podcast „Blickwinkel“ nach und sie betreten damit Neuland. Exilliteratur auf Persisch – sei es afghanische oder iranische Literatur – erlebt in Europa und den USA gerade eine Blüte. Viele Schriftsteller:innen mussten ihre Heimat verlassen und leben im Exil; manche seit Jahrzehnten, andere erst seit Kurzem. Es gibt allerdings kaum Verlage, die ihre Werke herausbringen. Im Iran und in Afghanistan werden sie aus naheliegenden Gründen nicht veröffentlicht und in Europa und den USA gibt es bislang nur wenige spezialisierte Verlage. So sind viele der Autor:innen den persischen Leser:innen eher unbekannt. Dies ist aber nicht die einzige Herausforderung, die persischsprachige Exilliterat:innen verbindet. „Nicht alle, aber viele von ihnen haben ihre Heimatländer verlassen, um der Zensur zu entkommen“, so Maryam Mardani. „Allerdings entkommt man der Zensur in der Regel nicht, indem man die Grenze überschreitet. Die Zensur wirkt nach, nicht nur weil Autor:innen aus Rücksicht auf Verwandte und Beziehungen im Iran weiterhin Grenzen einhalten. Viele haben Tabus so internalisiert, dass sie sich immer noch schwertun beispielsweise religiöse der erotische Themen anzugehen. Das kann sehr lange nachwirken. Viele Exil-Schriftsteller:innen haben mit der inneren Zensur zu kämpfen“.
Im Podcast „Blickwinkel“ geht es aber nicht nur um Probleme und Herausforderungen. Im Vordergrund stehen die Werke und ihre Autor:innen. Zehn Folgen, zehn Bücher und zehn Persönlichkeiten. Hörbar auf allen gängigen Plattformen für Podcasts und natürlich bei Amal, Berlin! und Amal, Hamburg!
Für Amal ist dies ein Herzensprojekt
Wir produzieren hier einen Podcast, von dem wir wissen, dass er nur einen Teil unserer Leser:innen interessiert – Mit Flucht, Energiepreisen, Rassismus und deutscher Bürokratie haben viele schon genug zu tun und überhaupt: Wer liest heute noch Bücher und noch dazu solche, die schwer zu bekommen sind? – Zugleich hat genau dieser Podcast ein Eigenleben entwickelt, das weit über unsere Zielgruppe hinaus geht: Er wird gehört und diskutiert in Zirkeln afghanischer Intellektueller in Europa. Er wird geteilt und verschickt über Telegramm-Kanäle iranischer Exilant:innen und auch im Iran und Afghanistan selber hat er Hörer:innen gefunden. Ein interessantes Experiment.
1. Hadi Keykavoosi „Das Alphabet der Dachse“
Es ist die zweite Sammlung von Kurzgeschichten dieses iranischen Autors, der in Prag lebt. Keykavoosis Personen kämpfen mit den sozialen Problemen des Lebens im Iran. Das besondere an seinen Geschichten: Sie sind voller Magie. Den Protagonisten widerfahren magische Momente, doch für sie ist dies völlig normal. Das gibt den Geschichten bei all ihrer Kritik einen frischen Touch und fördern die Neugier der Leser:innen.
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2. Mohammad Assef Sultanzadeh “Verdammt Mullah Omar“
Der afghanische Autor lebt in Kopenhagen. Die Hauptfigur ist Mullah Omar, der 1996 bis 2001 die Taliban geführt hat. In seiner Struktur ist der Roman den griechischen Tragödien nachempfunden. Mit starken Worten wird hier das Innenleben afghanischer Männer dargestellt. Doch es gelingt dem Autor, unter den Panzer dieses Mannes vorzudringen und sein innerstes hervorzukehren, um seine Aura als „Heiliger“ zu dekonstruieren. Soundcloud، Castbox، Spotify
3.Hossein Mortezaeian Abkenar “Dunkelheit”
Der iranische Autor lebt in Los Angeles. „Dieser Roman in vierzig Teilen beschäftigt sich mit der Geschichte unserer Nation, so dass wir sie nicht vergessen“, sagt der Autor. Die einzelnen Teile sind thematisch miteinander verbunden und sie alle beschäftigen sich mit der Situation im Iran. Auch spielen alle Episoden im Dunkeln, das gibt dem Werk einen sehr postmodernen Flair.
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4. Fariba Sediqim “Ich bin in Anführungszeichen“
Die iranische Schriftstellerin lebt ebenfalls in Los Angelos. Psychoanalytisch wird das Leben des iranischen Mädchens Nilofar beschrieben. Der erste Teil beschreibt, wie sie ihre Mutter verliert. Im zweiten Teil läuft sie als junge Frau von Los Angelos davon und im dritten teil, der zehn Jahr später spielt, lernt sie sich endlich selber besser kennen.
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5. Bahram Moradi “Die Schwere der Anderen“
Der iranische Schriftsteller und Co-Autor dieses Podcast lebt in Berlin. Sein Roman erzählt die Geschichte von Peyman, der als 13jähriger 1981 aus Versehen verhaftet wird. Ausgehend von der Gefängniserfahrung beschäftigt sich der Roman mit dem Leben im Iran zwischen Krieg, Revolution, Unterdrückung, Gefängnis und Exil.
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6. Shahroz Rashid. “Elegien für Shakespeare”
Der iranische Autor und Dichter, der viele Jahre in Berlin lebte, ist vor drei Jahren gestorben. Sein Buch enthält fünf Essays und zwei Kurzgeschichten. Die einzelnen Texte stecken voller Humor und kreativen Stilelementen, um die Personen zu beschreiben. Leitmotiv ist die Balance zwischen den zwei Welten der Iraner:innen: Der mystischen Vorgeschichte und den Härten des Lebens im individualisierten heutigen Diesseits.
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7. Mahmoud Falaki “Carolas anderer Tod”
Der iranische Autor lebt in Hamburg. Ein zentraler Charakter des Romans ist Behrouz Panahi, der sich ein eine deutsche Frau – Carola – verliebt. Falaki spielt mit Ebenen und Genres und liebäugelt mit Krimielementen.
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8. Amin Ansari “Geständnis einer Prostituierten“
Der iranische Autor lebt in Melbourne. In seinem Roman geht es um vergessene und verdrängte Wunden und Traumata. Seine Hauptfigur ist ein iranischer Mann, der nach Australien auswandert und ständig von Flashbacks an seine Erlebnisse im Iran heimgesucht wird. Erst als er sich der Vergangenheit stellt, kann er Ruhe finden.
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9. Mehbooba Timuri “Eingebildete Schatten”
Die afghanische Autorin lebt in Kalifornien. Zwei Themen ziehen sich durch diese Sammlung von Kurzgeschichten. Es geht einerseits um die Grausamkeit des Krieges. Andererseits sind es ungesunde menschliche Beziehungen und unmenschliches Miteinander zwischen Menschen. Die Stellung der Frauen in patriarchalen Gesellschaften steht im Zentrum des Interesses.
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10. Abdulwahid Rafiei “Wolfsfalle”
Der afghanische Autor lebt in Berlin. Seine Kurzgeschichten spielen in den Bergen Afghanistans. Der Autor schaut hinter die friedliche Idylle des Lebens in der Natur, zeigt die Abgründe, die dunklen Seiten und Geheimnisse des Dorflebens. Er beschreibt den unübersehbaren Niedergang, der eine Folge des sinnlosen Krieges ist.
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