Photo: Syria Relief/ Save the Children/EPD
Oktober 9, 2024

Ist Syrien ein sicheres Land?

„Ist Syrien wirklich sicher!?“ Dies war der Titel einer Diskussionsrunde im Rahmen der ersten Jahreskonferenz der Syrischen Demokratischen Allianz. Dreizehn Jahre nach dem Beginn der syrischen Revolution will diese Organisation die Syrienfrage wieder ins Rampenlicht rücken. An der zweitägigen Konferenz in Berlin nahmen Politiker, Aktivisten und Menschenrechtsaktivisten aus Deutschland und Syrien teil.

Im Zentrum stand die Frage: Ist Syrien sicher? Diese Frage stellt sich aus aktuellem Anlass: Bereits bis Juli 2024 sind nach Angaben des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen 19.729 syrische Flüchtlinge aus Jordanien, Ägypten, dem Libanon, der Türkei und dem Irak nach Syrien zurückgekehrt. Darüber hinaus seien in den vergangenen Wochen aufgrund der israelischen Eskalation im Libanon mehr als 200.000 Syrer aus dem Libanon in ihr Land zurückgekehrt, berichtete die Washington Post unter Berufung auf eine libanesische Regierungsquelle.

Aber bedeutet dies, dass Syrien für die Rückkehrer sicher ist? Das syrische Netzwerk für Menschenrechte hat im Juni einen Bericht veröffentlicht und dokumentiert darin 4.714 Fälle willkürlicher Festnahmen von zurückkehrenden Flüchtlingen und Vertriebenen durch das syrische Regime. Das Human Rights Network stellte in seiner Erklärung anlässlich des Weltflüchtlingstages fest, dass Rückkehrer zahlreichen Verstößen ausgesetzt seien. Im gleichen Zusammenhang gab das Netzwerk an, dass mindestens 367 Zivilisten, darunter 56 Kinder und 34 Frauen, unter Folter getötet wurden. „Die Lage in Syrien ist überhaupt nicht sicher“, sagt die bekannte syrische Menschenrechtlerin Jumana Saif vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte in Berlin. Saif fügte hinzu, dass diejenigen, die nach Syrien zurückkehren, riskieren, verhaftet und gefoltert zu werden. Diese Fälle würden von syrischen Menschenrechtsorganisationen sowie internationalen Organisationen dokumentiert. Dokumentiert seine auch ganz aktuelle Fälle von Geflüchteten, die in den vergangenen Tagen aus dem Libanon nach Syrien geflohen seien. Tatsächlich seien einige Syrer, die freiwillig zurückkehrten, „unter Folter getötet“. Seit der Regierungszeit von Hafez al-Assad, dem Vater des derzeitig regierenden Bashar al-Assad kennt Syrien keine Sicherheit mehr, bestätigt auch Faten Ramadan von der Organisation „Without Chains“. Sie erklärt, dass Syrien keine Sicherheit gekannt habe, seit „die Assad-Familie die Kontrolle über das Land übernommen habe“, und fügt hinzu, dass diejenigen besonders gefährdet seien, die dagegen protestierten und die „grundlegendsten Rechte auf ein menschenwürdiges Leben und Demokratie forderten“. Ramadan wies darauf hin, dass die Willkür nicht nur vom Regime ausgehe: „Es gibt auf dem syrischen Territorium iranische Milizen und andere mit der Hisbollah verbundene Milizen“, sagt sie“. Seit einiger Zeit seien Bestrebungen der syrischen Regierung zu beobachten, sich den Weg zurück in die Weltgemeinschaft zu bahnen und die Beziehungen zu normalisieren.Insbesondere die aarabischenLänder, die ein Interesse an der Wiederaufnahme der Beziehungen haben, ließen sich dabei täuschen. So würden zuweilen bei angekündigten Haftentlassungen zwar Kriminelle aus den Gefängnissen entlassen, die politischen Gefangenen jedoch nicht, so Ramadan.

Nach Angaben des syrischen Netzwerks für Menschenrechte seinen von März 2011 bis August 2024 157.634 Personen, darunter 5.274 Kinder und 10.221 Frauen von staatlichen oder nicht-staatlichen Stellen verhaftet oder sie wurden verschleppt. „Flüchtlinge aus Syrien weigern sich, nach Syrien zurückzukehren, nicht weil sie es nicht lieben, sondern aus Angst vor Verhaftungen und Unterdrückung durch das syrische Regime“, sagt sie.

Diese Angaben wurden von Tareq Alaows von der Organisation Pro Asyl bestätigt: „Berichte darüber gibt es fast täglich auf sozialen Netzwerken, in den Medien und Berichten von Menschenrechtsorganisationen.“ In diesem Zusammenhang sei das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster sehr kritisch zu sehen. In der letzten Juliwoche hatten die Richter:innen dort entschieden, dass ein syrischer Flüchtling seinen Schutzstatus verliert, weil „Zivilisten in Syrien derzeit keine ernsthafte und individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit droht.“ Alaows sagte: „Die Entscheidung des OVG Münster ist eine politische Entscheidung, die Abschiebungen möglich machen soll“. Er kritisert, dass hier ein Einzelfall zum Präzedenzfall gemacht wurde. Viele derjenigen, deren Aufenthalt in Deutschland verwehrt werde, suchten anschließend die Hilfe von Pro Asyl. Allerdings, so Alaows, habe sich durch das Urteil von Münster vieles verändert. Dies sei falsch, sagt er: „Es sollte nicht übernommen werden, da es mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren ist.“ Die Ablehnung eines Asylantrags müsse im Einzelfall begründet werden. „Der Diskurs in Deutschland ist emotional und wir sehen jeden Tag, dass deutsche Politiker sagen, dass die Stimmung in der gGesellschaftes erfordert, dass mehr abgeschoben wird,“ sagt er: „Doch wir leben in einem Rechtsstaat und dieser sollte nicht stimmungsabhängig sein. Derzeit passieren in Deutschland Dinge, die uns Angst machen.“ Jede Abschiebungsentscheidung sei einen Schritt auf Assad zu.

Langensieben: Das Europaparlament stellt sich gegen eine Normalisierung mit Assad

Catherine Langensieben, die für die Grünen im Europaparlament sitzt und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales des EU-Parlamentes ist, sprach sich entschieden gegen eine Normalisierung mit der Regierung Assad aus. „Das gewählte Europäische Parlament, dem ich seit 2014 angehöre, steht gegen eine Normalisierung mit Assad.“ Langensieben, die selbst mehrfach nach Syrien reiste, hofft, dass auch in der neuen Legislaturperiode die EU bei ihrer klaren Haltung gegen die Regierung in Damaskus bleibe. Sie kritisierte die Haltung des scheidenden EU-Kommissars für Außen- und Sicherheitspolitik Joseph Borrell. Zugleich gab sie zu bedenken, dass die Entscheidungen die vom OVG Münster und von anderen Gerichten in Deutschland derzeit getroffen wurden, noch nicht in der Praxis erprobt seien. Es sei unklar, ob Abschiebungen derzeit praktisch umsetzbar seien. „Zudem müssen doch Kriminelle für ihre Taten in Deutschland auch hier von unserem Rechtssystem zur Rechenschaft gezogen werden. Führen wir sie nach Syrien zurück, werden sie dort wahrscheinlich nicht für ihre Straftaten in Deutschland bestraft“. Sie warnte zudem vor dem wachsenden Einfluss von rechtspopulistischen Kräften wie der AfD: „Es besteht die Gefahr, dass die Partei die Beziehungen zum Assad-Regime normalisiert, ähnlich wie es in Italien bereits geschehen ist“.